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    Im niederländischen Gelderland lebt, heute (2016) im stolzen 93. Jahr, eine würdige Dame in einem ehemaligen Gesindehaus. Sie blickt auf ein langes, erfülltes und von vielen Teckeln begleitetes Leben zurück. Der Körper will nicht mehr recht und hat seine Eigenheiten entwickelt aber sie weiß sich umsorgt und aufgehoben. Sie hat genommen, sie hat ein Werk geschaffen, sie hat gegeben.

    Henny van Breukelen - 2006
    Henny van Breukelen – 2006

    Enny’s Hoeve und der Teckelzwinger „van de Zeven Bergjes“

    Einst gehörte dieses Gesindehaus zu einem abgeschieden und einsam inmitten ausgedehnter Wälder liegenden Gehöft. Enny’s Hoeve wurde ab 1919 von dem wohlhabenden Herrn Hendrik Pouw und seiner damals 18-jährigen, von dem ca. 50km östlich von Frankfurt (Oder) gelegenen Rittergut Klein Heinersdorf (heute: Zagórze) stammenden, Ehefrau Paulina Berta Elisabeth Margareta Neumann, deren Heirat im Jahr davor stattgefunden hatte, südlich der Gemeinde Putten in Voorthuizen als Gutshaus errichtet. Dort wurde vor allem Rinder- und Hühnerzucht betrieben.

    Enny's Hoeve | Gutshaus  in den Wäldern zwischen Voorthuizen und Putten | Teckelzucht Niederlande
    Enny’s Hoeve, ein Gutshaus, das abgelegen in der Wäldern zwischen Voorthuizen und Putten lag.

    Es scheint mir wichtig, darauf hin zu weisen, dass wir über die Motive der Eheleute zur 1918 und damit in historisch verdächtiger Zeit erfolgten Heirat bislang nichts wissen. Ob es von Anfang an „Liebe“ war, und wenn ja, wo und wie haben sich die beiden während des ersten Weltkriegs kennengelernt? War es eine Flucht des jungen Fräulein Neumann vor der absehbaren Niederlage Deutschlands und den sich abzeichnenden Umwälzungen oder Angst, dass die russische Oktoberrevolution auch Deutschland erfassen werde? Vergessen wir nicht, es gab seinerzeit eine Reihe von Menschen, die Deutschland verließen, weil das seit dem Scheitern der deutschen Frühjahrsoffensive und den alliierten Erfolgen an der Westfront absehbare Ende der Monarchie, die sie als einzig natürliche Staatsform ansahen, und die aufkommende Republik unerträglich fanden. Alles Spekulation, selbstverständlich. Dennoch, Fräulein Neumann verfrüht in eine Schublade zu stecken, davor möchte ich gewarnt haben.

    Frau Greta Pouw-Neumann, wie sie sich zunächst nennen sollte, gründete 1925 den Teckelzwinger „v.d. Zeven Bergjes“ und nahm -zusammen mit ihrem Ehemann, der allerdings bei mindestens gleicher Kompetenz weitaus zurückhaltender und weniger öffentlichkeitswirksam agierte- bald eine führende Rolle in der Kurzhaarteckelzucht ein. Die eigentliche Basis ihrer Zucht bildete sich aus der Paarung Edel Bommelia (rot) x Perle v. Falkenried (schwarzrot) heraus. Daneben arbeitete sie mit Hunden aus dem in Neu Babelsberg bei Potsdam von Herrn G.F. Müller betriebenen Zwinger „v. Flottenberg“ und einem kleinen Zwinger aus der Nähe von München „v. Luitpoldsheim“ des Ehepaars Sensenbrenner.

    Wie sie später selbst freimütig sagten sollte, hatte sie mit dieser Kombination einen äußerst glücklichen Wurf getan. Der Wert ihres Glücks war ihr wohl bewusst, meinte sie doch, es hätte nicht durch noch so eingehendes Studium und Vergleichen von Stammbäumen aufgewogen werden können. Dennoch: Bescheidenheit war ihre Sache nicht. Frau Pouw bediente aus unserer heutigen Sicht das Klischeebild einer resolut allein herrschenden Gutsherrin und man hüte sich, die romantisierende Vorstellung einer nachsichtig lächelnden Dame im Kreis ihrer fünf verwöhnten Dackelchen aufkommen zu lassen. Nichts könnte falscher sein.

    Sie wurde am 28. Februar 1901 als Tochter des Rittergutsbesitzers Adolf Friedrich Neumann und seiner Ehefrau Paulina Margareta Neumann, geborene Frischmüller, geboren und ist in der Neumark, man darf wohl sagen großbürgerlich, herangewachsen, hatte mit 17 einen 14 Jahre älteren reichen Großgrundbesitzer geheiratet und einem großen Haus vorzustehen. Da ist es auch nicht verwunderlich, wenn sie Zeit ihres Lebens darauf bestand, dass sich zu den Mahlzeiten alles erhebt, wenn Frau Pouw den Saal betritt und erst wieder Platz nimmt, wenn die Hausherrin sich selbst zu Tisch gesetzt hat.

    Für die Versorgung der zahlreichen Hunde hat man sein Gesinde über das wiederum Angestellte herrschen, denen auch Ausbildung und Vorstellung der Hunde an Prüfungen und Ausstellungen obliegen. Zu wichtigen Anlässen war man zwar persönlich zugegen, das aber nur um Preise entgegen zu nehmen, Kontakte zu pflegen und zu repräsentieren oder eben einen Blick auf andere Teckel zu werfen. Damit ist kein Urteil in Charakterfragen gesprochen. Frau Pouw mag von Zeiten und Verhältnissen geprägt gewesen sein, die uns heute einfach fremd sind.

    Obwohl hier nicht der Ort ist, auf das Zuchtgeschehen in diesem Zwinger, der über 51 Jahre bis 1976 bestand, im Einzelnen einzugehen, mag ich doch (nach der 2003 vom Nederlandse Teckel Klub heraus gegebenen Festschrift „Honderd jaar Teckels in Nederland“ aus der Zeitschrift „De Hond“ (1940) zitiert) Frau Pouw selbst zu Wort kommen lassen, denn hier scheint mir ein Stück dieser außergewöhnlichen Züchterpersönlichkeit greifbar zu werden:

    „Überall im Land wird der Druck dieser unruhigen Zeiten fühlbar“ schrieb sie im Januar 1940.

    „Auch der Hundesport hat zu leiden. Es wird wohl keinen Zwinger geben, der davon nicht betroffen ist. Obwohl die Versorgungslage noch ausreichend ist, seinen Hunden gerecht zu werden wird es doch spürbar härter, zumal nun ein starker Rückgang der Verkäufe stattfindet. Es gibt noch nichts, was eine Panikstimmung unter den Niederländischen Kynologen rechtfertigen würde, auch wenn man hier und da schon tut, als seien die ganzen Niederlande mit dem Hungertod bedroht! Das sind zum Glück bisher Einzelfälle. Wie aber wird es werden, wenn die Lebensmittelrationen tatsächlich verringert werden sollten und der Verkauf noch mehr zurückgeht? (…) Nun, ich will doch annehmen, dass unter den Teckelliebhabern sich einige finden werden, die ungeachtet dessen mit der nötigen Vorsicht und Bedacht weiter machen. Auf der anderen Seite werden aber diejenigen Züchter aus unseren Reihen verschwinden, für die der Spaß aufhört, wenn der Gewinn schwindet! Das ist nichts, was ich wirklich betrauern könnte! Um so größer die Möglichkeiten, um so schärfer die Auslese. Unsere holländischen Teckel sind vielfach aus gutem Holz geschnitzt. Die guten werden sich behaupten. Der Rest, der verschwinden wird, verdient nicht, dass man ihm nachweint.“

    Margareta Pouw
    Hendrik und Margareta Pouw - 1951 | Teckelzucht Niederlande | Enny's Hoeve
    Hendrik und Margareta Pouw – 1951

    Nur wenige Monate später, im Mai 1940, überfiel die deutsche Wehrmacht die Niederlande und Mevrouw Pouw war in einem noch viel stärkeren Maß, als sie es bei Abfassung Zeilen geahnt haben mag, genötigt, auch entsprechend zu handeln.

    Waren in den Jahren vor der deutschen Besatzung jährlich weit mehr als zehn Würfe im Zwinger v.d. Zeven Bergjes nicht weiter bemerkenswert, sank 1940 die Zahl der Würfe auf sieben um im Folgejahr auf fünf zurück zu gehen. Allerdings fallen dann bis 1945 kaum noch Würfe. Das allerdings hatte nicht unbedingt nur mit der Versorgungslage in den von uns Deutschen besetzten Niederlanden zu tun. Familie Pouw war auf die eine und die andere Weise in Widerstand gegen die deutschen Besatzer geraten. Einerseits beherbergte Enny’s Hoeve zehn untergetauchte jüdische Holländer; andererseits wurde insbesondere nach der Landung der Alliierten in der Normandie und der Schlacht von Arnheim Enny’s Hoeve zu einem Sammelpunkt von aktiven Widerstandskämpfern, deutschen Deserteuren und hinter den Linien gelandeten alliierten Fallschirmspringern.

    Das Attentat von Putten

    So kam es, dass am 30. September 1944 acht Mann sich auf Enny’s Hoeve trafen und von dort aus zu einem Anschlag in der Gemeinde Putten auf ein mit deutschen Offizieren besetztes Wehrmachtsfahrzeug aufbrachen. Der Anschlag als solcher schlug fehl. Es entspann sich ein Feuergefecht bei dem zwei deutsche Offiziere verwundet wurden. Ein Offizier so schwer, dass er am Folgetag verstarb. Der andere wurde von den Widerstandskämpfern verletzt gefangen genommen. Zwei weitere deutsche Offiziere entkamen unverletzt und alarmierten die in Harderwijk stationierten Besatzertruppen.

    Der Anschlag von Putten (30. September 1944)  Niederlande | Attentat auf die deutschen Besatzer
    Attentat auf die deutschen Besatzer (30. September 1944)
    Quelle: Das Attentat von Putten

    Am folgenden 01. Oktober 1944 wurde auf Befehl des deutschen Generals der Flieger Friedrich Christiansen, Wehrmachtsbefehlshaber der besetzten Niederlande und Oberbefehlshaber der 25. Armee, das Dorf Putten, auf dessen Gebiet sich der Anschlag ereignet hatte, hermetisch abgeriegelt. Alle Häuser wurden durchsucht, alle Einwohner zusammengetrieben. Frauen und Kinder wurden in der Alten Kirche zusammengepfercht; die Männer in der örtlichen Schule und der Eierhalle. Sieben Personen wurden dabei schon von deutschen Soldaten bei ihren verzweifelten Fluchtversuchen erschossen. Am folgenden Tag wurden alle männlichen Kinder ab 15 Jahren und alle Männer bis 50 Jahre, insgesamt 661 Menschen, über das polizeiliche Durchgangslager Amersfoort und das Konzentrationslager Neuengamme in verschiedene KL-Außenlager in Norddeutschland verschleppt.

    Razzia und Deportation in Putten | Niederlande
    Etwa tausend Soldaten des Regiments „Hermann Göring“ treiben die Bewohner unter Aufsicht der Polizei ins Dorfzentrum | Hoek Dorpsstraat – Kerkstraat, Putten, Die Niederlande
    Quelle: Die Razzia

    Fünfhundertzweiundfünzig Male verlor die Hoffnung einen Wettlauf mit der Zeit. Wochen nur bis zur Befreiung der Niederlande, wenige Monate nur, bis Deutschland von allem nichts gewusst zu haben begann, genügten, um auch diese Menschenleben fünfhundertzweiundfünfzig Mal in ein Rendezvous mit dem Tod zu schicken mit nichts als Alleinsein und fünfhundertzweiundfünfzig jeweils einzigartigen Tafelmusiken aus Hass, Hunger, Misshandlung und Zwangsarbeit, aus Erschöpfung, Angst und Kälte sorgsam komponiert. Als der Frühling kam, Europa aufatmete und das Leben wieder beginnen konnte, warteten auch die Frauen und Familien in Putten auf diese fünfhundertzweiundfünzig Jungen und Männer. Sie warteten vergebens. Putten war buchstäblich zum Dorf der Witwen geworden.

    General Christiansen wurde 1948 als Kriegsverbrecher von einem niederländischen Sondergericht zu 12 Jahren Haft verurteilt und 1951 von den Niederlanden begnadigt. Seine Geburtsstadt Wyck auf Föhr erneuerte bei seiner Freilassung die schon 1932 verliehene Ehrenbürgerschaft, wie dies auch seine Wohngemeinde Aukrug bzgl. der dort 1933 verliehenen Ehrenbürgerschaft veranlasste,  und benannte erneut eine Straße nach ihm. Schließlich war er ehrenvoller und tapferer deutscher Soldat.

    Die Gruppe der Widerstandskämpfer hatte bei Rückkehr nach Enny’s Hoeve am Morgen des 01. Oktober einen Toten zu beklagen und führte zwei Verwundete mit sich. Einen holländischen Widerstandskämpfer namens Frans Slotboom und den am Knie verletzten deutschen Oberleutnant Eggert, bei dem man eine Karte eines Teils des Führerhauptquartiers gefunden hatte und den man darum als möglichen Geheimnisträger gefangen genommen hatte. Beide wurden in der Diele von Enny’s Hoeve versorgt so gut man konnte. Der herbei gerufene Arzt konnte für den Studenten Frans Slotboom jedoch nichts weiter tun, als dessen Schmerzen zu lindern. Er erlag seinen schweren Verletzungen und wurde zunächst im Garten begraben.

    Den Menschen auf Enny’s Hoeve entging das sich abzeichnende Kriegsverbrechen der deutschen Armee in der Nachbargemeinde Putten selbstverständlich nicht. Um den gefangenen Oberleutnant Eggert entspann sich eine heftige Diskussion unter den Widerstandskämpfern. Die einen plädierten angesichts der Ereignisse in Putten und der Gefahr für die Widerstandsgruppe dafür, Oberleutnant Eggert zu erschießen und die anderen wollten sich nicht auf die gleiche Stufe wie die Deutschen stellen und den Gefangenen trotz der damit wahrscheinlich verbundenen Konsequenzen am Leben lassen.

    Schließlich setzte sich die Menschlichkeit durch -oder Mevrouw Pouw- und man kam überein, Oberleutnant Eggert nach der erfolgten Erstversorgung in einem Wagen an einer Straße abzulegen. Angefügt war ein Zettel auf Deutsch und Niederländisch, der darum bat, bei Auffinden den nächsten deutschen Posten zu benachrichtigen. Die Bewohner von Enny’s Hoeve machten sich keine Illusionen darüber, welche Gefahr es für sie bedeutete, Oberleutnant Eggert am Leben gelassen zu haben und in aller Eile flohen sie von Enny’s Hoeve in alle Winde und eine trotz des bereits absehbaren Kriegsendes für jeden zunächst ungewisse Zukunft. Nur eine Tochter der Familie, Coob Pouw, blieb zurück um die Tiere zu versorgen.

    Die Rache der Wehrmacht auf Enny’s Hoeve

    Oberleutnant Eggert wurde aufgefunden. Nach Herstellung seiner Vernehmungsfähigkeit konnte er nicht viel berichten, allerdings doch, dass er an einem Ort gewesen sei, an dem er bemerkenswert viele Hunde habe bellen hören. Das besiegelte das Ende.

    Am 18. Oktober 1944 wurde Enny’s Hoeve zunächst von deutschen Besatzungstruppen umstellt. Niemand sollte entkommen können. Soldaten der Wehrmacht durchsuchten Enny’s Hoeve und nahmen Coob Pouw gefangen, die einen Monat später wieder frei kam. Enny’s Hoeve aber wurde in Brand gesetzt und vollständig zerstört.

    Man stelle sich das brennende Trümmerfeld vor. Dazwischen machen deutsche Soldaten Schießübungen an Teckeln, die bisher von Menschen nichts Schlechtes kannten. Ein Hund nach dem anderen muss dran glauben. Piffpaff! Das war die Hündin mit den lustigen Ohren. Piffpaff! Die schöne Rote. Piffpaff! Da liegt die Mutterhündin von vier Würfen. Piffpaff! Der Tiger ist Geschichte, nein, schlecht getroffen, nur der Vorderlauf baumelt jetzt komisch am Hund. Piffpaff, piffpaff, piffpaff! Da die Veteranin! Piff! Paff! Tot.

    Wir reden hier nicht von zwei, drei Hunden, nicht von zehn oder fünfzehn. Auf Enny’s Hoeve sollen zeitweise bis zu 200 Hunde im weltweit größten Teckelzwinger gelebt haben, wenn wir auch davon ausgehen dürfen, dass gegen Ende des Krieges erheblich weniger Hunde noch vor Ort waren. Der größte Teil der so prächtigen Teckelzucht wurde von den so ehrenvollen und tapferen deutschen Soldaten gestohlen. Wer weiß schon, unter welchem Namen und in welchen Nachkriegsstammbüchern sie oder ihre Nachkommen wieder aufgetaucht sein mögen? Wessen Wert man nicht erkannte oder wer sich nicht fangen ließ wurde abgeknallt, und nur wenige Hunde konnten panisch in die Wälder fliehen.

    Als 1962 Greta Pouw in einem Interview sich fragen lassen musste, was nun ausgerechnet sie als Deutschstämmige in den Widerstand gegen die deutsche Besatzung getrieben habe, antwortete sie:

    „Ihr seid Niederländer, weil eure Eltern Niederländer waren. Das ist keine große Kunst, ja ihr konntet gar nicht anders. Aber ich bin es aus freiem Willen und zielgerichtet erst geworden.“

    Margareta Pouw

    Sie ließ sich eben nicht gerne etwas wegnehmen, diese Greta Pouw, das zu haben sie sich entschieden hatte.

    Baumpflanzungszeremonie zu Ehren von Hendrik und Margarete Pouw. Yad Vashem, 02.05.1978 - Quelle: The Righteous Among The Nations
    Baumpflanzungszeremonie zu Ehren von Hendrik und Margarete Pouw. Yad Vashem, 02.05.1978
    Quelle: The Righteous Among The Nations

    Befreiung und Wiederaufbau der Teckelzucht

    Nur ein Gesindehaus blieb vom Wirken der so ehrenvollen und tapferen deutschen Soldaten verschont, weil den Soldaten erzählt wurde, es sei von einer an einer ansteckenden Krankheit leidenden Greisin bewohnt.

    Nach der Befreiung wurde zwar nach und nach Enny’s Hoeve wieder aufgebaut und Frau Pouw machte sich unter einigen Mühen wieder ans Werk. Mit wenigen Hunden, die sie vor dem Anschlag abgegeben hatte und nun zurückkaufte, einigen Hunden, die aus den Wäldern wieder zurück fanden und dem einen oder anderen Deckrüden aus ihrer Zucht, der den Krieg bei neuen Besitzern überlebt hatte, baute sie ihren Zwinger mit über die Jahre allmählich wieder wachsendem Erfolg in der Kurz- und Rauhaarzucht und zahlreichen Champions erneut auf. Gleichwohl soll sie nach dem Krieg nicht wieder die vor dem Krieg durchweg überragende Qualität ihrer Hunde erreicht haben. Bemerkenswert übrigens, dass Mevrouw Pouw trotz ihres Bekenntnisses zu den Niederlanden und trotz der Kriegserlebnisse den Stab über Deutschland und die Deutschen nicht brechen wollte und insbesondere dem deutschen Teckelwesen lebenslang verbunden blieb. Noch 1975 findet sich im „Dachshund“ auf Seite 312 die Auslobung des „Preis van de Zeven Bergjes“ gegeben von H. und G. Pouw, Voorthuizen, Holland (Zwinger „van de Zeven Bergjes“), für „Kurzhaar-Tiger-Dachshunde“.

    Henny van Breukelen auf Enny's Hoeve | Teckelzucht Niederlande
    Henny van Breukelen auf Enny’s Hoeve

    Die eingangs erwähnte Dame, damals eine junge Frau, wusste schon immer, dass sie irgendwann irgendwas mit Tieren machen würde und schwärmte für Kurzhaarteckel. Wie immer wollten aber die Eltern, dass die Tochter zuerst etwas Vernünftiges lerne und so ließ sie sich nach dem Krieg in der Krankenpflege ausbilden. Als eine Kollegin ihr davon erzählte, dass deren Eltern Teckel züchten, war sie schwer beeindruckt. Der Name der Kollegin war Carool Pouw und so wurde Henny van Breukelen mit der Familie Pouw bekannt, die ihr schließlich auch einen Hund schenkten, Erbprinz v.d. Zeven Bergjes.

    Dieser Hund war insofern von Bedeutung, als er Henny van Breukelen kurz darauf hinderte, nach Kanada auszuwandern. Es gab einen Verlobten, es gab sogar schon eine Arbeitsstelle in Kanada, aber es gab damals auch noch eine strenge Langzeitquarantäne für Hunde bei der Einreise nach Kanada oder aber Frau van Breukelen hätte ihren Hund in den Niederlanden zurück lassen müssen. Beides brachte sie nicht über sich und sie entschied sich, in den Niederlanden zu bleiben. So wurde es nichts mit dem Verlobten, der Arbeitsstelle in Kanada und dem Auswandern.

    Teckelkennel van de Hen's Bergen
    Henny van Breukelen und Hilda ten Kate

    Es kam, wie es kommen musste, 1952 siedelte Frau van Breukelen nach Enny’s Hoeve über um mit der Familie Pouw und den Teckeln als Zwingerleiterin zu arbeiten und zu leben. Ihre Eltern, die damals schon als Unternehmer in Japan lebten, hatten ihr einen gewissen Betrag für die Aussteuer geschickt, den Frau van Breukelen nun nutzte, um ihre  ersten Hunde zu kaufen und den eigenen Zwinger „v.d. Hen’s Bergen“ zu gründen. Allerdings frönte sie nicht ihrer eigentlichen Leidenschaft, der Kurzhaarteckelzucht, sondern wich, um Frau Pouw und den „Zeven Bergjes“ keine Konkurrenz zu machen, auf die Langhaarteckelzucht aus.

    Sie hatte mit diesen aus deutschen Blutlinien stammenden Teckeln beachtliche Erfolge und hat durchaus auch Champions gezüchtet; DER große Durchbruch aber, blieb ihr versagt, da ihre Tätigkeit für den Pouwschen Zwinger stets Priorität genoss. Wenn ihr auch Knechte zur Seite standen, denen die alltägliche Versorgung der Hunde oblag, so hatte sie doch alle darüber hinaus gehenden Aufgaben, wie die Ausbildung der Hunde und deren Teilnahme an Ausstellungen und Prüfungen wahrzunehmen, so dass sie ihre eigenen Hunde in aller Regel nicht selbst auf Ausstellungen zeigen konnte und für deren Ausbildung erst Zeit fand, wenn alle Pouwschen Hunde versorgt waren. Dennoch, sie arbeitete mit Hunden, das war die Hauptsache, und sie war in der Lage, ihre Eltern nach deren geschäftlichem Misserfolg in Japan im Gesindehaus auf Enny’s Hoeve unterzubringen.

    v.l.n.r. Nobel Snuffel van de Zeven Bergjes, Zorro von Heubachtal, Fortune's Fairing Coquette (blautiger aus den USA), Juultje van de Hen's Bergen | Teckelzucht Niederlande
    v.l.n.r.: Nobel Snuffel van de Zeven Bergjes, Zorro von Heubachtal, Fortune’s Fairing Coquette (blautiger aus den USA), Juultje van de Hen’s Bergen

    So vergingen die Jahre mit der Hundearbeit und zogen die Teckelgenerationen vorüber. Nur selten kam die drahtige und hoch gewachsene Henny van Breukelen aus der Arbeitskleidung heraus und dazu, ihren einzigen Luxus, Tee oder Kaffee mit wahren Unmengen an Zucker, dem sie ihr langes Leben zuschreibt, zu genießen. Ihr Vater starb, und sie brachte weiter Hunde auf die Welt, bildete sie aus, stellte sie zu Prüfungen und Ausstellungen vor und erarbeitete die Erfolge im Zwinger van de Zeven Bergjes.

    Nach dem Ableben des Herrn Pouw im Jahr 1975 gab auf nachhaltigstes Drängen ihrer Kinder Greta Pouw 1976 die Teckelzucht und Enny’s Hoeve auf und zog nach Deventer, wo sie 1989 – elf Jahre nach der Ehrung der Eheleute Pouw als Gerechte unter den Völkern in Yad Vashem – verstarb.

    Henny van Breukelen hätte das nicht berühren müssen, hatte sie doch schon Angebote von guten Freunden, die sie und ihre Hunde aufnehmen wollten. Aber was wäre dann aus den vielen Pouwschen Hunden geworden, zumal kein übergroßes Interesse an deren Schicksal bei der jüngeren Generation erkennbar wurde? Der Gedanke, sich einfach umzudrehen, zu gehen und die Hunde, die sie zum größten Teil vom ersten Atemzug an kannte, im Stich zu lassen schien ihr absurd, schien ihr eine Ungeheuerlichkeit solchen Ausmaßes, dass daneben die Aussicht, ein vergleichsweise ruhiges Leben mit einer überschaubaren Zahl eigener Hunde, für die man dann endlich ausreichend Zeit hätte, zu führen jeden Reiz verlor.

    Henny van Breukelen hatte keinerlei Mittel, die ihr erlaubt hätten, Enny’s Hoeve zu übernehmen. Aber das Leben kennt nicht nur gerade Wege. Nicht alle Biegungen eignen sich, hier nacherzählt zu werden. Henny van Breukelen jedenfalls hatte das Glück, dass sie sich die Nutzung des Gesindehauses mithilfe guter Freunde bei dem Verkauf von Enny’s Hoeve auf Lebenszeit sichern konnte und damit in der Lage war, alle (!) Hunde, gleich ob Rau- oder Kurzhaar, aus dem Zwinger „v.d. Zeven Bergjes“, darunter auch Zunder und Schelm v.d. Birke, zu übernehmen und ihnen ein gutes Zuhause zu bieten, auch wenn sie zusehen musste, wie Enny’s Hoeve, immerhin auch ihr langjähriges Zuhause, abgetragen wurde.

    Dennoch stürzte sich Frau van Breukelen nun mit Begeisterung und großem Erfolg vor allem in die Kurzhaarteckelzucht. Und hier spätestens sind wir zumindest für diejenigen Teckelfreunde, die sich etwas weiter als nur für die drei Ahnentafelgenerationen interessieren, in der Jetztzeit angelangt, denn Hunde aus dem Zwinger v.d. Hen’s Bergen und damit auch v.d. Zeven Bergjes finden sich europaweit in zahlreichen erfolgreichen Kurzhaarstammbäumen. Dies um so mehr als Frau Henny van Breukelen ab 1976 bis in die Neunzigerjahre zahlreichen Züchtern ihre ausgezeichneten Hunde zur Verfügung stellen konnte oder ihnen in sonstiger Weise auf die Beine geholfen hat.

    Hier sind unter vielen zunächst der Zwinger v.h. Spaaiserhof (Herr L.G. Spaai), zu nennen oder Frau Hilda ten Kate, die nach 15 Jahren Mitarbeit bei Frau van Breukelen mit Deuteria v.d. Hen’s Bergen als Stammmutter ihren Zwinger „Abedar’s“ gründete, oder der Zwinger „v. Barnousch“ mit Granny v.h. Spaaiserhof (Schelm v.d. Birke x Foska v.h. Haveke), etc., p.p.

    Mevrouw van Breukelen - Clubmatch Nederlandse Teckelclub 2013
    Mevrouw van Breukelen – Clubmatch Nederlandse Teckelclub 2013

    Wir selbst stoßen heute noch bei unseren eigenen Hunden oder bei der Recherche zu potentiellen Deckrüden immer wieder auf die Zwingernamen dieser, jede auf ihre eigene Weise, einzigartigen Züchterpersönlichkeiten.

    Welch Glück mag es sein, seine Leidenschaft gefunden zu haben, sie teilen und weiter geben zu können; sie wachsen zu sehen, auch in fremder Hand, und zu wissen, dass sie einen überdauern und eigene Wege gehen wird! Wir alle stehen als Züchter in dieser Tradition. Wir profitieren von dem, was unsere Vorgänger unter teilweise widrigsten Bedingungen geleistet haben. Wir genießen und ertragen die Folgen ihrer Entscheidungen, ob es nun Entscheidungen aus Mut, aus Not oder Unwissenheit waren. Auch wir haben stets die Wahl. Wir müssen nur die Wahlmöglichkeiten erkennen und wahrnehmen! Es wird sein zum Guten oder zum Schlechten. Nichts von dem, was wir heute tun bleibt ohne Wirkung auf unsere Nachfolger und vor allem unsere Teckel. Es sei denn, neue Barbaren schössen sie tot. Dann war alles nichts.

    Postskriptum (April 2018)

    Mevrouw van Breukelen ist in Begleitung ihrer Freunde zum Ende ihres Weges gekommen. Die Asche ihrer sterblichen Überreste wurde der Natur entlang der von ihr so oft gegangenen Pfade auf Enny’s Hoeve übergeben.


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